Kommentar: Wegfall des Pflegegrades 1 wäre vor allem ein herber Schlag für viele ältere Menschen

Ein Kommentar von Marion Tost, Vorständin der AWO Bayreuth-Stadt

„Der mögliche Wegfall des Pflegegrades 1, den die Politik derzeit rege diskutiert, wäre für viele ältere Menschen ein herber Schlag – und aus unserer Sicht als Experten in der Altenhilfe ein sozialpolitischer Rückschritt. Der Pflegegrad 1 war nie ein großzügiges Leistungsversprechen, aber es war ein wichtiges Signal, dass anerkannte, dass auch Menschen mit leichten Einschränkungen Unterstützung brauchen.

Schon heute sind viele Betroffene auf die begrenzten Leistungen angewiesen, um ein Mindestmaß an Unterstützung und Teilhabe im Alltag zu sichern. Menschen mit Pflegegrad 1 erhalten aktuell monatlich 131 € für Angebote wie Haushaltshilfe, Unterstützung beim Einkauf oder Betreuung – die Leistungen des Pflegegrades 1 ist sozusagen eine niederschwellige Brücke in die Unterstützungslandschaft. Er ermöglicht es, frühzeitig Kontakte zu Pflegediensten zu knüpfen, Selbstständigkeit zu bewahren und auch soziale Isolation zu vermeiden. Fällt dieser Anspruch weg, verlieren viele die einzige finanzielle Möglichkeit, sich niedrigschwellig Unterstützung zu organisieren. Und das bedeutet ganz klar mehr Belastung für Angehörige, die ohne diese Hilfen zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen – neben Beruf und Familie – und die Gefahr steigt, dass Betroffene schneller höhere Pflegegrade erreichen – mit höheren Gesamtkosten für das Pflegesystem, das eh schon auf Krücken läuft.

Wenn die Politik also nun über den Wegfall des Pflegegrades 1 diskutiert, verschärfen sie damit die Sorgen bei Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen – ein falscher Schritt in Zeiten von immer weiter steigenden Zahlen von Pflegebedürftigen in Deutschland. Und die Politik blendet einen wichtigen Punkt komplett aus: Der Pflegegrad 1 wird vor allem als präventive Maßnahme verstanden. Er soll Menschen frühzeitig unterstützen, bevor eine stärkere Pflegebedürftigkeit entsteht. Durch gezielte Hilfen im Alltag – etwa bei der Haushaltsführung, Mobilität oder Organisation von Unterstützungsangeboten – wird dazu beigetragen, die Selbstständigkeit möglichst lange zu erhalten und den Einzug in eine stationäre Einrichtung zu vermeiden.

Der Pflegegrad 1 ist kein „Luxusgrad“, sondern ein frühes Warnsystem im Pflegeprozess. Er ermöglicht präventive, niedrigschwellige Hilfe und trägt dazu bei, Selbstständigkeit und Lebensqualität möglichst lange zu erhalten. Sein Wegfall würde bedeuten, dass viele ältere Menschen erst dann Unterstützung erhalten, wenn ihre Pflegebedürftigkeit deutlich zugenommen hat – also zu spät. Statt bestehende Leistungen zu kürzen, braucht es eine Stärkung der Prävention und Entlastung im häuslichen Umfeld – damit Menschen so lange wie möglich selbstbestimmt leben können.“